Stress beim Gleitschirmstart

Einfluss von Groundhandling auf das Stressniveau beim Gleitschirmstart – Studie von Jarl Braun

1. Einleitung

Gleitschirmfliegen und das Erleben von Stress ist dirket miteinander verbunden. Während dem Fliegen begegnen wir vielen Stresssituationen. Einerseits kann eine Stresssituation in der Luft stattfinden, zum Beispiel durch andere Piloten oder durch starke Turbulenzen, Andererseits auch auf oder in Bodennähe, wie zum Beispiel beim Start- oder der Landungsphase.

Der Start ist einer der schwierigsten und gefährlichsten Phasen eines Fluges. Bei dieser Situation geschehen auch die meisten Unfälle (1), da sie in Bodennähe stattfindet.

Angst und Stress verschlechtern unsere Feinmotorik. Gerade diese ist aber beim Steuern des Gleitschirms, besonders beim Start und Landung, enorm wichtig. Fehlende feinmotorische Koordination der Bewegungen kann beim Start zu gefährlichen Situationen führen. Es wird immer wieder beschrieben (2), dass Groundhandling die Beherrschung des Gleitschirms verbessert und möglicherweise den Stress beim Starten reduziert.

Um herauszufinden, welchen Einfluss Groundhandling auf das Stressniveau beim Gleitschirmstart hat, wurde ein Experiment an Flugschülern der Flugschule «Chill Out» durchgeführt.

1.1 Was ist Stress?

Stress entsteht durch eine biochemische Reaktion des Körpers auf eine ungewohnte oder sogar lebensbedrohliche Situation. Eine Situation, die als gefährlich bewertet wird, nennt man Stressor. Unter dem Begriff Stressor versteht man äussere und innere Stressauslöser. Neben Gefahren können dies auch Gedanken oder Alltagssituationen sein, welche als unangenehm oder als bedrohlich wahrgenommen werden. Durch die Wahrnehmung des Stressors wird die Stressreaktion ausgelöst (3).

Ein Stressor signalisiert dem Körper und de m Verstand Gefahr und löst eine Alarmreaktion aus, die zu einer Stressreaktion führen kann. Beim Gleitschirmfliegen kann z. B. starker Wind am Startplatz ein solcher Stressor sein. Sinnesorgane wie Augen und Ohren nehmen den Reiz auf und leiten ihn an verschiedene Zentren im Gehirn weiter. Eines dieser Zentren, die Amygdala, aktiviert nun das gesamte Alarmsystem. Die Amygdala ist ein Teilbereich des limbischen Systems, welches bei der Entstehung von Emotionen eine wichtige Funktion hat. Ihre wesentliche Funktion besteht im Erkennen von gefährlichen Sinnesreizen. Wird ein Stimulus wahrgenommen, der höhere Aufmerksamkeit erfordert, setzt die Amygdala automatisch die Alarmreaktion in Gang und aktiviert das biologische System (siehe Abb. 1). Ein anderer Teil der Information geht an höhere Verarbeitungszentren im Gehirn. Dort findet eine Bewertung statt, die ebenfalls die Amygdala aktivieren kann (4).

Die Reaktion über die Amygdala führt im Körper zu einer Alarmierung, bevor die höheren Hirnzentren die Situation genau analysiert haben. Diese schnelle Alarmierung hat eine äusserst wichtige Überlebensfunktion. Sie lässt uns schnell und mit viel Kraft (grobmotorisch) auf eine Gefahr reagieren, dabei verlieren wir mindestens teilweise die Fähigkeit feinmotorisch zu handeln. Als der Mensch noch Jäger und Sammler war, war diese Alarmierung überlebensnotwendig. Heutzutage ist sie nicht immer von Vorteil. Beim Gleitschirmfliegen ist es wichtig, feinmotorisch und überlegt schnell reagieren zu können. Grobmotorisches Ziehen an den Bremsen kann zu heftigen Schirmreaktionen führen.

Um die hormonelle Stressreaktion anzustossen, verläuft die Alarmierung in zwei einander folgenden Wellen (3). In der Abb.1 sind die beiden Wellen dargestellt.

Abb. 1: Grafik der beiden Stressreaktionen. Von verschiedenen Sinnesorganen wird der Stressor wahrgenommen. Sie leiten ein Signal zur Amygdala. Die Amygdala aktiviert die beiden Stressreaktionen. Auf der linken Seite ist die «First Wave» abgebildet, welche über das sympathische Nervensystem mithilfe von elektrischen Signalen das Nebennierenmark anregt, Adrenalin und Noradrenalin ins Blut auszuschütten. Dies dauert wenige Millisekunden. Auf der rechten Seite ist die «Second Wave» abgebildet, welche über den Hypothalamus verläuft. Im Hypothalamus wird das Corticotropin-releasing-Hormon (CRH) ausgeschüttet (ca. 5-10 sec.). Dies führt dazu, dass in der Hypophyse das Adrenocorticotrope Hormon (ACTH) freigesetzt wird, welches über die Blutbahnen zur Nebennierenrinde gelangt (ca. 5-10 min.), damit unter anderem Cortisol ins Blut ausgeschüttet wird (5). Zum Vergrössern der Abbildung ins Bild klicken. 

1.1.1 «First Wave»

Wird die Amygdala aktiviert, stimuliert sie über das sympathische Nervensystem das Nebennierenmark (Abb. 1, links). Dadurch werden die Hormone Adrenalin und Noradrenalin – sogenannte Katecholamine – ins Blut ausgeschüttet (3). Diese erhöhen Herzfrequenz und Blutdruck, steigern die Muskelspannung, setzen mehr Blutzucker frei und erweitern die Bronchien für eine bessere Sauerstoffversorgung – all das ermöglicht eine schnelle körperliche Reaktion.

Da diese Reaktionen direkt mit der Herzfrequenz zusammenhängen, eignet sich diese als Indikator für das Stressniveau. Allerdings kann auch körperliche Anstrengung, etwa beim Auslegen des Gleitschirms in steilem Gelände, die Herzfrequenz erhöhen. Deshalb reicht dieser Wert allein nicht aus. In der Messung kam ein Blutdruckmessgerät zum Einsatz, das zusätzlich systolischen und diastolischen Blutdruck erfasste.

1.1.2        «Second Wave»

Parallel zur «First Wave» aktiviert die Amygdala den Hypothalamus (Abb. 1, rechts). Innerhalb von 5–10 Sekunden schüttet dieser das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) aus, dass die Hypophyse zur Freisetzung von Adrenocorticotropin (ACTH) anregt. Dieses Hormon gelangt über das Blut zur Nebennierenrinde, wo nach weiteren 5–10 Minuten das Stresshormon Cortisol gebildet wird (3).

Cortisol ist ein lebenswichtiges Glukokortikoid, das unter anderem den Fettstoffwechsel reguliert, es wird vermehrt Glukose produziert und Cortisol hemmt ebenfalls das Hormon Insulin, dass zuständig für der Transport von Glukose zu den Zellen verantwortlich ist und dies führt zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels. Cortisol spielt eine wichtige Rolle bei der kurzfristigen Bereitstellung von Energie in Stresssituationenen durch das Erhöhen des Blutzuckerspeigels.

Bei chronischem Stress kann ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel jedoch das Immunsystem schwächen, die Knochenbildung hemmen und vieles mehr (vlg. ebd., S. 156). Cortisol wirkt der akuten Reaktion der «First Wave» entgegen und stellt das Gleichgewicht (Homöostase) wieder her – sein Maximalwert wird jedoch erst 20–30 Minuten nach dem Stressereignis erreicht (3).


2. Untersuchung

In einem Experiment, welches im Sommer 2024 an zwei normalen Flugschultagen stattgefunden hat, wurde an 19 Flugschüler: innen untersucht, wie sich die Stressparameter Cortisol, Herzfrequenz und Blutdruck unter verschiedenen Bedingungen verhalten. Das Experiment sah folgendermassen aus (siehe Abb. 2):

Abb. 2: Ablauf des Experiments

Gleich nach dem Briefing folgte die Basismessung. Bei jeder Messung wurde von jedem Flugschüler Saliva (Speichel) gesammelt, um den Cortisolwert feststellen zu können, die Herzfrequenz und der Blutdruck wurde ebenfalls festgehalten. Nach der Basismessung ging es gleich auf den ersten Flug, wobei kurz vor dem Start (d.h. 5-Punkte-Check schon erledigt) nochmals alle Stressparameter gemessen werden. Nach dem ersten Flug werden die Flugschüler in zwei Gruppen aufgeteilt. Gruppe A absolviert als nächstes eine ca. 60-minütige Groundhandling-Intervention, während Gruppe B auf einen weiteren Flug mit wiederholter Messung vor dem Start geht. Nachdem die Gruppe A fertig ist mit der Intervention und alle Flugschüler aus der Gruppe B gelandet sind, geht die Gruppe A auf ihren zweiten Flug, während Gruppe B die Groundhandling-Intervention absolviert. Zum Schluss gehen alle Flugschüler zusammen auf ihren dritten und letzten Flug. Nach jedem Flug und nach der Groundhandling-Intervention füllen die Flugschüler einen Selbstreflexionsbogen aus, indem sie auf einer Skala von 1 bis 10 einschätzen, wie sie sich, während dem Start gefühlt haben, wie sie die Aufgaben der Groundhandling-Intervention lösen konnten und wie stark die Messungen sie irritiert haben.

Abb.3: Speichelentnahme beim Startplatz

2.1 Groundhandling-Intervention

Abb. 4: Groundhandling Intervention mit der Gruppe A.

Während der Groundhandling-Intervention haben die Flugschüler verschiedene Übungen erhalten, die sie machen mussten. Jeder Flugschüler wurde von einem erfahrenen Piloten unterstützt und es entstand ein Eins zu Eins Coaching.

Abb. 5: Auf dem Bild ist eine Teilnehmerin zu sehen, die von einem Instruktor begleitet wird.

Die Aufgaben der Groundhandling-Intervention sahen folgendermassen aus:

Abb. 6: Groundhandling Intervention.
Im Vorfeld mussten Übungen für jede Wetter- und Windsituation konstruiert werden.
Bei der ersten Übung «Vorwärtsstart (Rückwärtsstart) bei Nullwind» geht es darum, die drei Phasen zu repetieren.
Die zweite Übung «Vorwärts-/ Rückwärtsstart bei Wind» zielt darauf ab, das Gefühl für die Schirmposition zu schärfen.
Bei der letzten Übung «Mentaltraining» sollen die Flugschüler den Startablauf in den Gedanken durchgehen.
Zum Vergrössern der Abbildung ins Bild klicken. 


3. Resultate

Abb. 7: Komprimierte Darstellung der Cortisolwerte in Abhängigkeit der Messzeitpunkte. Die x-Achse repräsentiert die Messzeitpunkte. Auf der y-Achse wird der Cortisolwert in nmol/L dargestellt. Die Probanden der Gruppe A (n=8) sind blau markiert und die der Gruppe B (n=9) rot. Zum Vergrössern der Abbildung ins Bild klicken.

In der Abb. 7 ist der Cortisolwert in Abhängigkeit der Messzeitpunkte, welche bei beiden Gruppen vorkommen, grafisch dargestellt. Es wird ersichtlich, dass beim Messzeitpunkt «Flug nach Intervention» der Cortisolwert bei 14 von 17 Probanden abnimmt. Es gilt zu beachten, dass das eine vereinfachte Grafik ist, und somit nicht alle Messungen dargestellt werden.

Die Frage stellt sich, ob die Cortisol-Werte über den Tag wegen dem natürlichen zirkadianen Rhythmus sinken oder ob dies abhängig von der Intervention ist?

Abb. 8: Komprimierte Darstellung der Herzfrequenzen in Abhängigkeit der Messzeitpunkte. Die x-Achse zeigt die Messzeitpunkte. Auf der y-Achse wird die Herzfrequenz in Schläge pro Minute dargestellt. Die Probanden der Gruppe A (n=8) sind blau markiert und die der Gruppe B (n=9) rot. Zum Vergrössern der Abbildung ins Bild klicken. 

In der Abb. 8 sind die Herzfrequenzen in Abhängigkeit der Messzeitpunkte, welche bei beiden Gruppen vorkommen, grafisch dargestellt. Es wird ersichtlich, dass die Herzfrequenz bei 9 von 17 Probanden beim Flug nach der Intervention sinkt. Dabei erweitert sich die Streuung. Das heisst, die Intervention wirkt nicht bei allen Probanden gleich (differenzielle Wirksamkeit).

Abb. 9: Komprimierte Darstellung des systolischen Blutdrucks in Abhängigkeit der Messzeitpunkte. Die x-Achse zeigt die Messzeitpunkte. Auf der y-Achse wird der systolische Blutdruck in mmHg dargestellt. Die Probanden der Gruppe A (n=8) sind blau markiert und die der Gruppe B (n=9) rot. Zum Vergrössern der Abbildung ins Bild klicken. 

In der Abb. 9 wird der systolische Blutdruck aller Probanden in Abhängigkeit der Messzeitpunkte, welche bei beiden Gruppen vorkommen, grafisch dargestellt. Es wird ersichtlich, dass der Mittelwert zwischen dem ersten Flug und dem Flug nach der Intervention um 10 mmHg abnimmt. Dabei nahm der systolische Blutdruck bei 9 von 17 Personen ab.


4. Schlussfolgerung

Tendenziell zeigen die mittleren Messwerte eine Reduktion der objektiven Stressparameter (Cortisol, Herzfrquenz und systolischer Blutdruck) nach der Intervention. Zum Teil gibt es deutliche Streuungserweiterungen. Streuungserweiterung bedeutet, dass sich die Werte der Flugschüler: innen stark unterscheiden im Vergleich zu der vorherigen Messung. Das heisst, die Probanden haben sehr unterschiedlich von der Intervention profitiert. Gut ersichtlich ist das bei der Grafik der Cortisolwerte: Ein Proband der Gruppe A hatte beim ersten Flug einen sehr hohen Cortisolwert und dieser sinkte auf den Flug nach der Intervention um ca. 10nmol/L, während bei einem anderen Probanden aus Gruppe A der Wert nur um 0.5nmol/L gesunken ist.

Um genauer herauszufinden, weshalb eine erweiterte Streuung resultiert, müssten ebenfalls komplexere statistische Verfahren verwendet werden. Dann könnten die Variablen die Schwierigkeit der Startbedingungen, Startfähigkeit und Flugkompetenz in die Analyse miteinbezogen werden.

Trotzdem kann mehrheitlich bestätigt werden, dass Groundhandling einen positiven Einfluss auf das Stressniveau beim Gleitschirmstart hat. Bekräftigt wird dies, durch den Umstand, dass bei Gruppe B der Cortisolspiegel bei der letzten Messung (Flug nach Intervention) weiter gesunken ist und bei der Gruppe A der Mittelwert bei einem weiteren Flug nach der Intervention stabil geblieben ist.

Um die Resultate genauer betrachten zu können, ist die Arbeit hier verlinkt:

Maturaarbeit (Braun, 2024) >

Poster Maturarbeit (Braun, 2024) > 

Anhang «Good to Know» (Braun, 2024) > 


5. Tipps für den Flugschulbetrieb

Mit den aus diesem Experiment entstandenen Resultaten lässt sich sagen, dass Groundhandling einen positiven Effekt auf den Stress beim Gleitschirmstart hat. Ich empfehle allen Flugschulen, dass sie die Flugschüler auch nach dem Grundkurs auf die wichtige Rolle des Groundhandlings hinweisen. Möglicherweise könnten die Flugschulen statt fünf Flüge pro Tag, vier Flüge machen und noch eine 30 bis 60-minütige Groundhandling-Session einbauen.


6. Danksagung

Ich danke…

  • der Flugschule Chill Out und deren Leiter Andy Jäggi dafür, dass ich mit ihren Flugschülern das Experiment durchführen durfte.
  • Kari Eisenhut für die Bereitstellung der Infrastruktur.
  • Bendicht Erb für sein Engagement als Fluglehrer an den beiden Experiment-Tagen und die vielen anregenden Diskussionen.
  • Daniel Kilchoer, Ami, Fabian Silberschmidt, Hanspeter von Bergen, Kasper Zeindler, Nicole Glaus, Sacha Schibli, Simone Greminger für die Hilfe bei der Durchführung des Experiments.
  • dem Psychologischen Institut der Universität Zürich für die Bereitstellung der Cortisolspeichelbehälter und der Durchführung der Laboranalysen.
  • meinen Eltern für die geduldige Unterstützung.

7. Prämierung

Diese Arbeit wurde ausgezeichnet mit dem Prädikat «Sehr gut» und wurde von Schweizer Jugend Forscht > ausgewählt, um am Nationalen Halbfinale teilzunehmen.


Literaturverzeichnis

(1) Stocker, B. (2024). Unfallanalyse 2023. Swissglider, 05/06, 52-59.

(2) SRF. (2024). Der Überflieger – Gleitschirmprofi Chrigel Maurer
https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/der-ueberflieger—gleitschirmprofi-chrigel-maurer?urn=urn:srf:video:95563296-6d25-4f2e-8fb6-a7ab9d805a50

(3) Rensing, L., Koch, M., Rippe, B., & Rippe, V. (2006). Mensch im Stress (1 ed.). Elsevier – Spektrum akademischer Verlag.

(4) Goleman, D. (2007). Emotionale Intelligenz (19 ed.). DTV.

(5) @chemieundbioinderschule9759. (2021). Die Stressreaktion – Ein Zusammenspiel von Hormon- und Nervensystem.
https://www.youtube.com/watch?v=TXpicIL2jIE

 

 


 

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