Restrisiko?

Ein Erlebnisbericht

Text: Simon von Fischer & Bänz Erb, 2021
Foto: Fabian Equey


Just Culture

Vorwort von Bänz

An einem heissen Nachmittag im August genoss ich beim Landeplatz Stechelberg zusammen mit meinem Tandempassagier ein kühles Getränk. Der Blick Richtung Schwarzmönch war durch Sonnenschirme verdeckt. Als mein Blick mal in diese Richtung ging, sah ich einen Gleitschirm oberhalb einer Felswand hängen. Der Pilot befand sich in der Wand, sein Schirm hatte sich oberhalb in kleinen Bäumen verfangen. Kurz darauf begann die Rettung per Longline. Wie zu erwarten, erschienen am Folgetag die Bilder in den Medien. Der Blick titelte: «Gleitschirm-Pilot wird sepktakulär aus Felwand gerettet». Der Artikel schliesst mit den Worten: «Der Pilot hat riesiges Glück: Er bleibt fast unversehrt.» [i]

Zwei Tage nach dem Zwischenfall erreichte mich eine Mail von genau diesem Piloten. Er möchte den Vorfall im Gespräch mit einem Mentaltrainer und Fluglehrer einordnen. Zudem möchte er dazu beitragen, dass andere etwas lernen können. Simon möchte «andere Piloten/Flugschüler davor bewahren, das Glück so herausfordern zu müssen.» Dieser Wunsch ebnete den Weg, gemeinsam diesen Text zu veröffentlichen.
Ich habe Respekt davor, wie produktiv Simon mit seinem Zwischenfall umgeht und wie offen er seine Gedanken teilt. Ehrliche Selbsteinschätzung ist in unserem Sport eine Kunst, die regelmässiges Training erfordert.

Der offene Austausch über Zwischenfälle wird in der Luftfahrt «Just-Culture» [ii] genannt. Das Melden von kritischen Zwischenfällen bleibt straffrei, während das Vertuschen geahndet wird. Das Ziel des gemeinsamen Lernens aus Zwischenfällen wird höher gewichtet als das Prestige des betroffenen Piloten. Man überwindet das Wunschbild des unfehlbaren Helden der Lüfte und konzentriert seine geistige Energie darauf, wie man die Risiken in komplexen Systemen senken könnte. Das gelingt nur mit einem Kulturwandel in Organisation, Gesetz und Fliegerszene. Just Culture benötigt passende Rahmenbedingungen, die in einem längeren Prozess entwickelt werden. Der Weg führt von einer «Blaming Culture» hin zu einer «Learning Culture»: Statt einen Schuldigen zu suchen, werden solche Ereignisse als Dünger für Lernprozesse gesehen.

Obwohl man aus den Berichten über Zwischenfälle viel lernen kann, bergen sie die Gefahr in sich, andere Piloten zu verunsichern und ihnen den Spass am Sport zu trüben. Es gilt also, Nutzen und Schaden abzuwägen.

Bei Simons Erlebnis schwankt meine Waage: Obwohl ich aus dem Bericht Schlüsse für mein eigenes Risikomanagement ziehen kann, lässt er sich für mich nicht in eine Schublade verstauen. Denn als Pilot sehne ich mich jeweils nach einer einfachen Ursachenerklärung: «Mach in Situation X immer Y, und du bist sicher unterwegs». Anstelle dessen bleibt eher die Frage nach dem Restrisiko unseres Sports in der Luft hängen. War Simon einfach zur falschen Zeit am falschen Ort? Selbstverständlich erhöht genug Abstand zum Hang die Sicherheitsmarge. Doch um hangnahe Thermik zu nutzen, muss man sich hangnah in turbulenter Luft bewegen – sonst steht man bald am Landeplatz, während die anderen hoch oben drehen und ihren Spass haben. Vielleicht wird man zusätzlich zum Absauf-Frust noch mit der Frage konfrontiert, weshalb man denn so früh landen gegangen sei?
Wo setze ich in turbulenter Luft die Grenze zwischen Kämpfen und Fliehen? Anspruchsvoll wird diese Entscheidung zudem, wenn an besagter Stelle ein Jahr vorher erfolgreich hangnah in thermischer Luft geflogen wurde. Und weshalb sollte ich genau dann wegfliegen, wenn mir fünf andere Gleitschirme das Steigen anzeigen?

Ich könnte meine innere Spannung angesichts dieses Textes auch auflösen, indem ich den Piloten abwerte und zum Täter mache. Ich könnte dazu den «Glauben an eine gerechte Welt» [iii] bemühen: Eine gerechte Welt ist überschaubar und hat klare SpielregeIn. Jeder kriegt, was er verdient. Schlechten Menschen passieren demzufolge schlechte Dinge. Also war der Pilot halt einfach ein schlechter Pilot. Da ich mich hingegen als guten Piloten einschätze, wäre meine Welt wieder in Ordnung und ich bräuchte mich beim hangnahen Thermikflug am Schwarzmönch nicht vor heimtückischen Turbulenzen zu fürchten.

Oder vielleicht löse ich das Problem der inneren Spannung angesichts dieses Textes mit Ignoranz, indem ich den Bericht gar nicht lese? Vielleicht verfüge ich über gute Vermeidungsstrategien, damit ich solche Gedanken in turbulenter Luft ausblenden kann? Die individuellen Bewältigungsstrategien sind zahlreich und haben jeweils ihre Vor- und Nachteile.

Dieser Beitrag stützt sich auf die Position, dass eine offene Kommunikation über Zwischenfälle in unserem Sport sowohl für den Betroffenen wie auch für die Szene von Nutzen ist. Denn Risiken verschwinden ja nicht, wenn man sie verschweigt. Selbstverständlich darf in der Szene kontrovers diskutiert werden, welche Vor- und Nachteile eine offene Kommunikation über Zwischenfälle und Risiken hat.

Wie dem auch sei, Simons Erfahrungsbericht bietet eine Gelegenheit, seinen eigenen Umgang mit Negativmeldungen im Gleitschirmfliegen zu beobachten. Auch dies gleicht einer Kunst, die Training erfordert: Aus Zwischenfällen lernen, sich dabei aber nicht unnötig verunsichern lassen.


Text von Simon

11.8.2021

Am Vorabend des geplanten Hike&Fly ist die Wetterlage noch etwas unklar. In der Höhe ist Wind prognostiziert und am frühen morgen noch hie und da ein Regenschauer. Danach aber Wetterbesserung. Als Ziel für den morgigen Tag haben wir das Lauterbrunnental. Wir machen ab, dass wir uns in Thun auf dem Zug Treffen und dann aufgrund der aktuellen Wettersituation noch definitiv entscheiden, welchen Weg wir genau einschlagen. Tags darauf treffen wir uns wie vereinbart auf dem Zug. Das Wetter scheint noch unwillig für fliegerische Aktivitäten und es ist Richtung Interlaken noch recht wolkenverhangen. Mein Flugfreund und ich sind schon einige Male zusammen unterwegs gewesen und so starten wir auch heute ohne grosse Erwartungen. Er hat Ferien und ich habe einen freien Tag, den ich sowieso geniesse, egal ob’s fliegt oder nicht. Wir beschliessen wie geplant ins Lauterbrunnental zu fahren und Richtung Rottalhütte zu gehen. Auf halber Höhe des Hüttenwegs gibt es geeignete Matten, von denen gut gestartet werden kann. Im Zug nach Lauterbrunnen gibt es noch leichte Regenschauer, aber man kann hinten im Tal schon einzelne blaue Löcher am Himmel erkennen. Von Lauterbrunnen fahren wir mit dem Postauto bis zur Endstation Rütti und gönnen uns noch gemütlich einen Kaffee im Restaurant. Als wir wieder heraus kommen ist der Himmel schon fast komplett klar. Zuversichtlich machen wir uns auf den Weg Richtung Hütte. Während des Aufstiegs bessert sich das Wetter weiter und wird allmählich zu einem strahlenden Sommertag. Nach schweisstreibenden 1046 Höhenmetern erreichen wir unseren Startplatz in der Madfura. Wir geniessen das mitgebrachte Mittagessen, die Aussicht und schauen ein paar Gleitschirmen zu, die auf der anderen Talseite nach Thermik suchen. Es scheint noch wenig Thermische Aktivität zu geben und wir lassen uns Zeit. Wir haben nicht vor auf Strecke zu gehen, aber ein wenig den Flug verlängern und ein bisschen oben bleiben wäre eine nette Zugabe zu diesem ohnehin schon wunderschönen Hike&Fly.

Um 14:30 starten wir bei perfekten Startverhältnissen. Die erste halbe Stunde Soaring ist eigentlich eher verlangsamtes Sinken bis auf halbe Abflughöhe. Danach wird es besser und ich gewinne wieder gut an Höhe. Es sind nicht ganz einfache, etwas turbulente, Verhältnisse und es braucht Geduld und Konzentration. Ich merke, dass ich mich ab und zu bewusst etwas entspannen muss in meinem Sitzgurtzeug. Nach einer guten Stunde Soaring zusammen mit meinem Freund und weiteren vier Gleitschirmen sehe ich etwas vor mir ein Tandem mit gutem Steigen und folge ihm. Kontinuierlich steige ich bis zum Wendepunkt unterhalb des Mönchsbüffels, drehe um und steige weiter.

Plötzlich wird das Steigen stärker und ich merke, wie es mich leicht in Richtung Felswand zieht. Während ich noch weiter steige, zeihe ich etwas die Aussenbremse um von der Felswand weg zu kommen. Genau in dem Augenblick falle ich aus dieser aufsteigenden Luft und der Schirm schiesst heftig vor. Es geht alles sehr schnell und doch sehe ich meinen Schirm wie in Zeitlupe horizontal vor mir. Mein Gedanke: Der Schirm wird jetzt klappen und dann wird etwas ganz Arges passieren. Ich erwarte einen Frontklapper aber der Schirm klappt eher links auf der Seite, wo sich die Wand befindet. Jetzt werde ich durchgeschüttelt und verliere komplett die Orientierung. Es gibt keine Gedanken und kein überlegtes Handeln mehr. Alles passiert einfach. Das nächste was ich wieder bewusst wahrnehme ist, dass ich links über die Schulter blickend sehe, wie ich auf die Felswand zu schwinge. Intuitiv ducke ich mich für den Aufprall zusammen und schon knallt es.

Danach Stille. Ich schaue hoch und sehe, dass sich mein Schirm in ein paar Föhren verfangen hat, die über einer abfallenden Wand auf einem Vorsprung wachsen. Ich bin ganz ruhig. Keine Panik, spüre kaum Schmerz. Erste Gedanken schiessen mir durch den Kopf: Was sage ich meiner Frau? War das jetzt wirklich nötig? Ich baumle einen knappen Meter von der Wand entfernt vor einem vertikalen Riss. Als Kletterer ist mir das Gefühl, hoch oben in einer Felswand zu hängen, nicht fremd. Ich weiss, ich werde jetzt mit dem Helikopter gerettet werden. Mit meinem Freund bin ich per Funk verbunden. Er meldet sich bei mir: «Hey ich hab’s mitbekommen und bin am Landeplatz. Wie geht es dir?» «Ich bin OK» antworte ich. Nach Absprache melde ich mich selbst bei der REGA. Sie alarmieren die AirGlacier und sagen, sie melden sich wieder bei mir. In der Zwischenzeit ziehe ich mich an den Riss heran. Ich denke, ich könnte die 2-3m am Riss entlang hochklettern und auf dem Vorsprung warten, verwerfe aber den Gedanken wieder, da ich auf keinen Fall noch ein zweites Mal mit einem Fall den Schirm belasten will. Ich ziehe stattdessen den unbenutzten Beschleuniger zwischen meinen Beinen hoch und lege ihn um eine kleine Felsspitze. So habe ich eine minimale zusätzliche Sicherung, da ich nicht weiss, was mit dem Schirm im Abwind des Helikopters passieren wird.

Nach weiteren 5 min ist der Helikopter der AirGlacier mit der Longline da. Zwei Bergetter werden oberhalb meiner Position auf dem Vorsprung abgesetzt. Der eine sichert und der andere seilt sich zu mir ab. Da ich zu keiner Zeit bewusstlos war und auch sonst keine schweren Verletzungen zu haben scheine, gelingt die Rettung relativ einfach. Wir versuchen noch den Schirm beim Hochziehen mitzunehmen. Doch er ist zu sehr in dem Baum verhängt und wir kappen die Leinen.

Im Hangar wartet ein Arzt um eine erste Einschätzung zu machen. Ich scheine den Aufprall recht gut überstanden zu haben. Trotzdem werde ich im Spital Interlaken zur Kontrolle angemeldet. Langsam werden die Schmerzen spürbar. Ich melde mich bei meiner Frau und sage, dass ich einen Unfall hatte aber alles OK sei. Ein Mitarbeiter fährt mich zum Spital. Röntgen, Ultraschall, Blutbild usw. Alles OK. Rippen sind geprellt oder gebrochen, aber nicht verschoben. Das heisst nach 4-5 Wochen mit Schmerzmitteln sollte ich keine körperlichen Schäden mehr haben. Glück im Unglück. Mein Bruder holt mich im Spital ab und ich sehe auf der Heimfahrt kurz vor Spiez einen wunderschönen Sonnenuntergang. Kitsch pur. Ich bin froh meine Frau und mein kleiner Sohn zuhause in die Arme nehmen zu können.

Und jetzt? Ende gut alles gut? Schirm kaputt, Schmerzen gross, erstmal nichts mit Fliegen. Klar. Doch allmählich kommt das Gedankenkarussell. Krass…ich hab’s überlebt! Ist das mein zweiter Geburtstag? Warum? Was habe ich falsch gemacht? Habe ich überhaupt etwas falsch gemacht? Wars Restrisiko? Kann ich jetzt nie mehr fliegen? Will ich das denn noch? Wie ist das für mein Umfeld, wenn ich sage, ich will wieder Fliegen? Ist das Verantwortungslos mit Frau und einem kleinen Kind? Etc.

Ich melde mich bei einem Mentalcoach, verabrede mich zu einem sogenannten Entlastungsgespräch. Der Coach ist auch Fluglehrer und so habe ich jemanden, der versteht, von was ich rede. Das Gespräch hilft. Es gibt keine konkreten Antworten auf meine Fragen. Dafür das Verständnis, dass diese Fragen zwar da sein und nie abschliessend beantwortet werden können, das aber OK ist.

Ich habe das Brevet seit 2016. Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte ich ca. 225 Flüge (inkl. Flugschule) und an die 150h Airtime. Ein paar kleinere Streckenflüge von 1-4 h und 10-40 km. Ich habe keinen SiKu gemacht. Ich habe einige Male als Startleiter geholfen und dabei unter Anleitung Stallpunkt erflogen. Ich flog zum Zeitpunkt des Unfalls einen Schirm der Klasse (low)B und ein Sitzgurtzeug mit Airbag. Meiner Ansicht nach war ich immer eher defensiv unterwegs. Hatte nie Probleme auch mal umzukehren oder nicht zu fliegen, wenn es nicht passt. Scheute mich jedoch auch nicht davor Herausforderungen anzunehmen und etwas zu wagen. Für mich war das Gleitschirmfliegen, so wie ich es betrieb, mit der Verantwortung der Familie gegenüber vereinbar.

Ob mein Unfall mit mehr Training und Erfahrung vermeidbar gewesen wäre, kann niemand genau sagen. Fakt ist, dass man in so einer Situation nicht ansatzweise Zeit hat, um zu überlegen, was die angebrachte Reaktion ist. Das gelingt höchstens intuitiv. Ich habe z.B. nicht die geringste Ahnung, ob ich die «Hände hoch» hatte oder nicht.

Mittlerweile bin ich eigentlich recht klar der Überzeugung, dass ich mit meinen Flug-Skills dort nicht hätte fliegen sollen und auch die vorher gemachten Flüge vor allem deshalb so gut gelaufen sind, weil das Restrisiko eben doch recht klein ist. Mit so wenig Erfahrung und Training ist eine intuitiv richtige Reaktion bei so einem Ereignis nicht möglich. Um in solchen Situationen intuitiv richtig reagieren zu können, braucht es regelmässiges Training. Der gleiche Klapper in freier Luft, wäre wahrscheinlich auch ohne ideale Reaktion kaum ein Problem gewesen. Nicht aber in Geländenähe, wo es wichtig ist, in der gewünschten Flugrichtung zu bleiben.

Ob ich wieder fliegen werde, weiss ich Momentan noch nicht. Ich möchte aber sicher noch mindestens einen Flug machen, um zu schauen wie mein Gefühl dabei ist. Ausserdem möchte ich nicht, dass mein Unfallflug der letzte Flug war. Das wäre ein unschöner Abschluss, wenn ich mich dazu entscheide vorläufig nicht mehr zu fliegen. Falls doch, dann wird es sicher eher im Bereich Hike&Fly sein, wo es nicht darum geht, den Flug zu verlängern, sondern einfach zu geniessen. Deswegen habe ich ja eigentlich auch mit dem Gleitschirmfliegen angefangen. Für Thermik- und Streckenflüge, wo man zwangsläufig früher oder später in der Nähe des Geländes fliegt, habe ich momentan schlicht zu wenig Zeit, um so oft zu fliegen, dass ich das nötige Training habe und es somit für mich weiterhin verantwortbar wäre. Wenn ich das Fliegen in thermischer Luft und nahe am Gelände auf ein Minimum reduziere, sprich nur noch Abgleiter mit geplantem Start- und Landeplatz mache, sollte ich somit einen Umgang mit dem Fliegen finden können, der sowohl für mich, als auch für mein Umfeld stimmt.

Ich hoffe, dass mein Erlebnisbericht anderen Piloten dabei hilft, für sich selber die richtigen Schlüsse zu ziehen, damit möglichst viele solche Vorfälle vermieden werden können. Soviel Glück im Unglück zu haben ist selten!


Let’s talk about it!

Nachwort von Bänz

Simons Offenheit beeindruckt mich. Nur selten erhält man einen detaillierten Einblick in die kreisenden Gedanken eines verunfallten Piloten. Ich bitte die Leserschaft im Sinne einer gelebten «Just Culture», dieser Ehrlichkeit mit Respekt und Vertrauen zu begegnen.

Simon beschreibt, dass die Geschichte nach erfolgter Rettung noch nicht zu Ende ist. Wenn der Körper in Sicherheit ist, folgt eine Zeit der psychischen Verarbeitung. Statt sich über den glücklichen Ausgang zu freuen, füllen Zweifel und Grübeleien den Geist: Was habe ich falsch gemacht? Was denkt meine Familie über mich? Was denken andere Piloten über mich? Darf ich dieses Hobby meiner Familie noch zumuten?
Das Aufschreiben dieser Gedanken kann bereits hilfreich sein. Man verschafft sich etwas Distanz zu ihnen.

Ein Absturz mit dem Gleitschirm in felsigem Gelände sprengt den Rahmen des alltäglichen Erlebens. In Folge können die normalen psychischen Verarbeitungsmechanismen überfordert sein. Das Erlebnis bleibt unverarbeitet zurück und ordnet sich nicht in das Alltagserleben ein. Je nach persönlicher Voraussetzung können diese Ereignisse in Folge sehr belastend und potentiell traumatisch sein.

Solche Ereignisse beim Gleitschirmfliegen führen häufig zum Aufgeben des Sports oder zu Flügen mit vermehrter Anspannung und Angst. Ein strukturierendes Gespräch, welches das Erlebte auf verschiedenen Ebenen einordnet, kann helfen, Anspannung, Angst und Stress zu reduzieren. In Einsatzorganisationen wie Polizei, Feuerwehr, Sanität oder auch in Teams auf Notfallstationen werden nach belastenden Einsätzen solche Gespräche durch Peers (erfahrene Kollegen mit Zusatzausbildung) geführt. Die einfachste Form eines solchen Gespräches ist das Kollegiale Entlastungsgespräch [iv]. Häufig gelingt es, mit dem Gespräch eine Verarbeitung des Erlebten anzustossen oder zu verbessern. Zudem verfügt der ausgebildete Peer über minimales psychologisches Wissen, um bei Bedarf weitergehende Betreuung zu empfehlen.

Es ist ganz normal, wenn Flüge nach einem Zwischenfall von starken Emotionen begleitet werden. Es handelt sich dabei um normale psychische Reaktion auf ein aussergewöhnliches Ereignis. Oft klingen diese Reaktionen mit der Zeit ab. Zudem kann man selbst Wichtiges dazu beitragen, um das Erlebnis zu verarbeiten. Problematisch für die Verarbeitung ist eine Vermeidung des Fliegens. Dies könnte sich darin äussern, dass man immer neue Gründe findet, weshalb man gerade jetzt nicht fliegen gehen kann. Oder dass man spätestens am Startplatz jeweils kehrt macht.

Let’s talk about it! Reden hilft bei der Verarbeitung des Erlebten. Ist die zuhörende Person zudem in Gesprächsführung geschult, kann das Gespräch noch mehr Wirkung entfalten. Üblicherweise finden diese Gespräche in einem geschützten Rahmen statt und es gilt seitens des Zuhörenden die Schweigepflicht. Eine Veröffentlichung solcher Erfahrungsberichte findet nur statt, wenn es Wunsch des Betroffenen ist und im Sinne einer gelebten «Just Culture» von Nutzen erscheint.

Simon wünsche ich für seine Zukunft alles Gute: Sei es in der Luft oder am Boden. Egal, ob er sich seinen Ausgleich zum Alltag am Gleitschirm oder sonst wo gönnt – möge er das Erlebnis weiterhin positiv verarbeiten und persönlich daran wachsen.


Feedbacks bitte an Simon flexmaster37@gmx.ch oder Bänz bendicht@chilloutparagliding.com


[i] https://www.blick.ch/news/einsatz-der-air-glaciers-im-lauterbrunnen-tal-gleitschirm-pilot-wird-spektakulaer-aus-felswand-gerettet-id16746197.html

[ii] https://www.justculture.ch/was-ist-just-culture

[iii] https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/gerechte-welt-glaube

[iv] Hausmann, C. (2016). Interventionen der Notfallpsychologie. Was kann man tun, wenn das Schlimmste passiert? Wien: Facultas.

Mentalcoaching
Mentale Flexibilität für Pilot:innen und Sportler:innen
Emotionen im Sport
Tageskurs zu mentaler Flexibilität
Human Factors
Fokus: Entscheiden unter Stress
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